Das DIGITORIAL® ZUR AUSSTELLUNG

REBELLIN DER MODERNE

“Meine Rebellion

besteht aus der Malerei”

Carol Rama

Carol Rama in ihrem Wohnatelier, 1994

Innovativ und außergewöhnlich. Kompromisslos und unkonventionell. Carol Rama hat ein einzigartig vielfältiges Œuvre hinterlassen.

Sie gehört zu den herausragenden Künstlerinnen der Moderne, und doch gelangt sie erst spät zu Ruhm. Heute wird sie als Pionierin der feministischen Kunst und als Nonkonformistin für ihr grundlegendes Schaffen gewürdigt. Ob abstrakte Malerei oder surreale Objektmontagen: Über Jahrzehnte ist die Kunst Carol Ramas kontinuierlich im Wandel und kennt keinen Stillstand. Die SCHIRN präsentiert die erste große Überblicksausstellung der Künstlerin in Deutschland und würdigt ihren bedeutenden Beitrag zur Avantgarde. Entdecken Sie in diesem Digitorial die fesselnde Welt von Carol Rama, einer Rebellin der Moderne.

Kapitel I

Die Inszenierung des Selbst

Senza titolo, 1967 (Detailansicht)

Carol Rama, in den Jahren 1961, 1988, 1954, 1951, 1994, 1969

Carol Rama (1918–2015) ist eine Künstlerin mit beeindruckend vielen Facetten: Etwa alle zehn Jahre erfindet sie sich in sehr unterschiedlichen Werkgruppen immer wieder neu. Und doch gelingt es ihr, sich selbst dabei stets treu zu bleiben.

Von ihren künstlerischen Anfängen in den 1930er-Jahren bis in die frühen 2000er-Jahre entsteht ein Gesamtwerk, das mehr als sieben Jahrzehnte künstlerischer Arbeit voll unglaublicher Experimentierfreude umfasst. Meist abseits von großen Schulen sowie künstlerischen Gruppierungen und ohne klassisch-akademische Ausbildung fand die Künstlerin selbstbestimmt zu neuen Ausdrucksformen. Wie ein roter Faden bindet die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, mit sehr persönlichen Erfahrungen und Schicksalsschlägen, die verschiedenen Werkgruppen zusammen. Carol Rama behandelt die großen menschlichen Themen – Sexualität, Lust, Krankheit, Tod. Mit ihrem Mut zur Kontroverse und Grenzüberschreitung ist sie eine Vorreiterin − ähnlich wie Louise Bourgeois, Niki de Saint Phalle oder Maria Lassnig. Ihre Themen greifen der Frauenbewegung vor und sind bis heute hochaktuell.

“Alles und nichts ist

autobiografisch.”

Carol Rama

Erinnerungsstücke an Man Ray in Carol Ramas Wohnatelier
Man Ray, Femme de sept visages, 1974

Das wohl treffendste Porträt Carol Ramas ist kein Bild: Man Rays Gedicht „Femme de sept visages“ (1974, dt. Frau mit sieben Gesichtern). Die Künstlerin platzierte es in ihrem Wohnatelier neben einer Fotografie des Künstlers.

Der Blick auf ihre Werke wurde oftmals durch die Wirkung ihrer schillernden Person verstellt – die Künstlerin ist eine Meisterin der Selbstinszenierung. Immer wieder schildert Rama Begebenheiten aus ihrem Leben. Die Grenzen zwischen tatsächlich Erlebtem und Erfundenem verlaufen dabei fließend. Viele dieser Anekdoten sind poetische Erweiterungen und zugleich unverzichtbare Bestandteile ihres bildnerischen Schaffens.

La Casa Studio

− das Wohnatelier in Turin

  • Detailreich arrangierte Utensilien
  • Der Arbeitstisch in Ramas Atelier
  • Schläuche und Gummireifen wirken wie eine Kunstinstallation
  • Ein weiterer Arbeitsplatz in Ramas Schlafzimmer
  • Arbeitsmaterial, Werkzeug und sehr viele Lampen
  • Fotos von Rama mit Freund*innen bedecken die Wand
  • Kistenstapel und ein Ausstellungsplakat von 1993

Krallen, Puppenaugen und Fahrradschläuche: Das „Casa Studio Carol Rama“ ist so spektakulär gestaltet, dass es einem installativen Kunstwerk gleicht. Auch die italienische „Vogue“ wollte es fotografieren.

Über 70 Jahre lang lebt und arbeitet Carol Rama im Dachgeschoss der Via Napione 15 in Turin – von 1943 bis zu ihrem Tod 2015. Seit Ende der 1940er-Jahre ist ihre Atelierwohnung immer wieder Treffpunkt der Turiner Intellektuellen und Kreativen. Das Apartment wurde vielfach als Erweiterung des künstlerischen Wirkraums Carol Ramas verstanden. Eine Fülle an alltäglichen Objekten und Materialien, die die Künstlerin in ihren Werken verwendet, ist hier nicht nur gesammelt und aufbewahrt, sondern an Wänden, in Regalen und auf Tischen arrangiert worden. Wie ein gigantisches Porträt der Künstlerin und ihres Schaffens vermittelt sich der Eindruck eines „work in progress“, als nähme man unmittelbar am künstlerischen Prozess teil, wenn man die abgeschnittenen Farbtuben, Kisten voller Puppenaugen und Stapel aus Schuhmacherleisten betrachtet.

Turin – Kunstzentrum Italiens

Das Wahrzeichen Turins, die sogenannte Mole Antonelliana

Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt sich Turin zu einem der Kunstzentren Italiens. Hier entstehen unter anderem Avantgarde-Bewegungen wie die „Arte Povera“. Viele der bedeutendsten italienischen Künstler*innen arbeiten hier, darunter Felice Casorati, Albino Galvano oder Mario und Marisa Merz. Seit 1994 findet mit der „Artissima“ jährlich eine der wichtigsten Messen für zeitgenössische Kunst in Italien statt.
Bereits seit Jahrhunderten spielt die Stadt aufgrund ihrer Lage immer wieder eine wichtige machtpolitische Rolle. Dies belegen bis heute architektonische Zeugnisse, die von antiken römischen Ruinen über Barockpaläste bis hin zu Straßenzügen im Jugendstil reichen. Turin kennt man auch als Industriezentrum und ursprünglichen Produktions-Standort der Automarke „Fiat“. Mit knapp 850.000 Einwohner*innen ist Turin heute die viertgrößte Metropole des Landes und Hauptstadt der Region Piemont.